- 'Feuerreiter' und mehr -
M ö r i k e - Materialien I
- Erzählung aus düsteren, deutschen Tagen, in denen edel gesonnene Pädagogik sich aufmachte, Lichtlein zu setzen -
Anton Stephan Reyntjes
Von
deutschem Geist, dem schwäbischen
- in memoriam Kurt Abels -
Ja, er
hatte sich Respekt verschafft. In der allerersten Stunde. Natürlich.
Da entscheidet sich das Schicksal eines Lehrers. Amen! Damut –
pardon: Damit du es weißt! Dann aber war er der gute Freund. Mal
eben so: väterlich und so! Zuerst hatte er fast in jeder Stunde von
seinen Motorradfahrten durch Süddeutschland erzählt. Vom Schloß
Mersburg aus - "Jungs, wisst ihr, die Annette von Droste!"
Er wartete ab: "Ja, die Hülshoff!" Wieder Pause! "Ja,
weiß es jemand? - Nein? Die ist dort beerdigt. - na, fahren wir
weiter. Ich war schon im ersten Chor der Fahrlehrer!"
Janno
flüsternd: "Klar, NSKK. Je höher der Stand der motorisierung,
desto stärker die Abwehrkraft der Nation!" - Ich, zurück:
"Woher weiß'n denn das?"
"Ruhe
da!. Aber fix! Burschen. - na, also! - Und dann mit sparsamem Gas
quer durch den schönen Allgäu."
"Da
hätte der Führer auch eine Autobahn hinbauen müssen. Gradaus bis-
bis Stalingrad oder so!" "Meinste? Eine! Und was für eine!
Nur für Motorräder!" Er vermied immer, Krad
zu sagen, der olle Janno!
"Was?
Noch keine Ruhe? - Ah, Jan, du, gut dass du dich meldest. - Ah,
willst austreten. Weiss schon, deine Blase, deine lockere Blase."
Alles
musste lachen. Undsoweiter. Wenn Jan sich draußen auspinkelte, oder
auslachte, war neben mir Ruhe.
So
hatten wir unsere Abwechslung vom öden Dienst als Luftwaffenhelfer.
Dienst war Dienst. Und Schule - Schule war Privatidee des Herrn
*
"Als
treuer Schwabe kenne ich meine Heimat, da bin ich viel unterwegs
gewesen, in den allen deutschen Gauen. Von Konstanz zum
Olympiastadion nach Garmisch!"
"Blödmann.
Gab es gar nicht, die Winterspiele, damals da!"
"Von
Neuschwannstein"
(Er sagte immer: Schwann.)"Von
Berg am See bis hoch hinaus. Zum Blauen Topf zum Beispiel. Oder bis
tief unten nach Passau hinab, du Donau, unsere Lebensstraße. Und in
die weite Ostmark hinein, wo sich die Donau verabschiedet an unseren
Grenzen. Und auch der Ungar ist schon befreit. Und liefert das
Gulasch fürs winterhiflswerk. So erzähle ich auch gern später noch
mehr."
Aber
jetzt, im Dreck und in der Kälte?
Da
steht er morgens vor uns und reibt sich am Bullerofen die Hände. Nix
mit DKW 25o ccm mit Spezialsitzen! Und zwei Motorradkappen, die
später in Stalingrad fehlten. Nix Reparatur der Kupplung am
Straßenrand! Nix vom Rennen auf dem Hockenheimring. Nix von der
Rallye, äh, der Friedensfahrt durch Deutschland.
"Hat
ja gut geklappt heute morgen, mit unserem Kanonenofen (Er kichert
dabei). Ja, ich hab's gerne warm, für mich und für euch, Jungs. Und
wenn's so dunkel und unfreundlich ist wie heute, da nehme ich gerne
euch auf einer Gedankenreise mit in das schöne deutsche Sprachgut."
Und
Dr. Schätzle war gut drauf. Er trug vor: Räuspert sich erst: Von
Eduard Mörike: Das verlassene Fräulein oder so ähnlich.
"Nun,
Jungs, was meinen Sie darüber?
Er
wartet. Soller warten, bis es ihm ungemütlich wird. Hab nix
verstanden!
„Her
Doktor, können Sie den Schma - äh, das Gedicht noch einmal
vortragen?“
Ja, er
kann es auswendig!
Zuhören!
Jungs! Abschalten, Kameraden!
„Trauen
Sie sich ruhig! Immer frisch vom Fleck! Es ist mal etwas anderes als
das Übliche im Deutschunterricht, mit Grammatik und Schönschreiben.
Wie?“
Nein,
noch keiner!
„Ich
trage es nochmals vor. Beachten Sie die sprachliche Schönheit!
Versuchen Sie, sie nachzuempfinden! Haben Sie Mut, die Schönheit
dieses Kunstwerks zu erkennen!
Und
wieder achtzehn Strophen oder so!
„Ja,
Sie, Kurti!“
"Mägdlein?
Ist das normal. Es soll doch eine junge Frau sein? Oder? Keine Magd!"
Sie
müssen sich doch versetzen in die Lage eines Hausmädchens, das
verführt wurde.
Kichern,
irgendwo zwischen Hein und Wilhelm!
- Wer
hat da? - Ich erwarte Konzentration und Fleiß für die Schweiß-,
äh, die Perlen der deutschen Lyrik! -
Ja,
Sie?
Und
der "Flamme Schein"? Was meinen Sie denn? Hier stinkt es
vom Bullerofen, und ich hab mir vorhin die Uniform versaut, als ich
den mit dem nassen Zeugs anstecken mußte.
Wohin
paßt das Gedicht denn wohl?
Ich
hab aufpassen müssen, um Sie überhaupt zu verstehen, Herr Dr.!
Ja,
Sie schwäbeln so fein, Herr Dr. Schätzle!
Und
die Schönheit und die Klangfülle. Und der Reim? Was sagt euch das,
ihr jungen Herrn! - Euch fehlt noch die Bildung, die ihr nicht hinter
dem 22er Geschütz lernt. Das müsste einer mal unserm Führer sagen!
Gar
nix?
Wie
jung mochte er sein?
Wie
alt mochte er noch werden?
Soll ich denen vorsprechen?"Seht ihr am Fensterlein dort die rote Müss- äh: Mütze -?
Ich
wiederhole die letzte Strophe:
"Träne auf Träne dann
Stürzet hernieder;
So kommt der Tag heran -
O ging er wieder!"
Oh, wenn ihr wollt: entstanden 1829. Very alt! -
Da hat sich jemand ausgeschleimt, kotzig: "Armes Weibchen!" -
Da hat sich jemand ausgeschleimt, kotzig: "Armes Weibchen!" -
Wollte er es besser als im Volkslied machen?
Ich
glaub, der Ludwig, einer von den dreien, die beim Luftangriff im
Hydrierwerk draufgegangen sind, der wär von der gedichtmäßigen
Schönheit begeistert gewesen.
(An
ihn denken. Lächeln, traurig, mit Nachzündung. Glimmend.)
Der
hat mir mal ein Gedicht an seine Marie vorgelesen. Aber nix mit
entzündeten Äugelein und so!
Das
stand da ja auch nicht bei Mörike.
Aber
die Sternlein verschwinden. Heute noch - morgens ... Versteh ich.
Aber,
wir tun alles für Sie! Wir geben uns Mühe um Ihre Bildung! Auch
unter schweren Umständen, die uns die Angloamerikaner -
Und
die leichte Flak, 22, Da stehen Sie ungeschützt gegen gegnerische
Bomben, im Höllenfeuer. - Aufgepasst!
Eduard
Mörike - das - das ist mein Herzblut!
Jungs! Vergeßt mich nimmer!
„Haben
Sie da schon mal gestanden? Und über die leichte Flak lachen
Tommys!“ „Die können uns auch nicht schützen!“ „Die
Ballerei ist nur, damit wir was zu tun haben!“ „Das hast du aber
mal gut gesagt, Sebastianchen!“
„Die
holen unsere Mühlen doch runter wie nix! Spitfire und Mustangs gegen
die lahme, alte Ju 87! Die Me 109. Weg war sie, weggeputzt vom Himmel
über der Ruhr. Und die Moskitos erst! Das ist wenigstens ein
Flugzeug, die macht 650 Sachen!
"Und
unsere 2 cm Flak, das ist doch was fürn Arsch! Da gehen wir doch
baden!"
"Undankbar
und- und - ehrlos, jawoll! Ehrlos und undankbar seid Ihr alle! Ich
müßte euch melden!"
Geht
vor dem Pult. Hin und her! Ach - im wehrmachtssmantel. Der Klassenraum war nicht geheizt.
Ich
breche den Unterricht ab. Alle mitschrieben! Jawoll! - Ihnen fehlt ein Bleistift? - Schluß mit
Lyrik! Ich diktiere drei Sätze! Die sind zu bestimmen nach Wortarten
und Satzgliedern. Lassen Sie unter jeder Zeile zwei Reihen frei. Ich
beginne. Wer raschelt da so lange?
Also,
Obacht:
Aus
dem Wehrmachtsbericht vom 5.1.45: In schweren Luftabwehrkämpfen
bemühen sich unsere Flaksoldaten, um die Heimat vor den
anglo-amerikanischen Terrorbombern zu schützen....
*
Handelnde:
Dr. Eduard Schätzle, Deutschlehrer, und zwölf Luftwaffenhelfer
(Benannte Figuren in Kurt Abels Erinnerungsbuch „Ein Held war ich nicht“.)
Ort:
Schulbaracke der Luftwaffenhelfer am Flugplatz in der Kirchhellener
Heide bei Gladbeck
Zeit:
8. Januar 1945
(Als
Vorlage meines Textes diente der Bericht von Kurt Abels über eine
Unterrichtsstunde eines Deutschlehrers vor Flakhelfern im Januar 1945. Vgl. Kurt Abels:
Ein Held war ich nicht. Köln u.a. 1998: Böhlau Verlag. S. 95; hier die Originalpassage:
Eines Morgens eröffnete er [Dr.Schätzle, ein Mittelstufenlehrer] (...) den
Unterricht [für die Flakhelfer], indem er das Gedicht „Das verlassene Mägdlein"
von Eduard Mörike vorlas; vielleicht bewog ihn der dunkle,
unfreundliche Morgen dazu. Dann forderte er uns au£ die Qualitäten
des Gedichtes nachzuempfinden oder zu erkennen. Dazu war anscheinend
kaum einer, ich jedenfalls nicht, in der Lage. Vielmehr bemühten
wir uns mit unseren schülerhaften, unbeholfenen Worten auszudrücken,
daß uns ein Mädchen, das Feuer anmacht und dabei darüber klagt,
daß es von seinem Freund verlassen worden sei, völlig egal
sei, es gehe uns nichts an. Der Lehrer hatte wohl geglaubt, daß der
trübe, nebligkalte Morgen, der triste Schulweg, der Aufenthalt in
der von einem Ofen geheizten, aber sonst wenig anheimelnden
Schulbaracke mit ihren häßlichen Holztischen und den
Standard-Flakschemeln einen günstigen Einstieg in die .Behandlung'
oder .Durchnahme' des Gedichtes bieten würden. Die
Auseinandersetzung wurde heftiger. „Mägdlein" und „Knabe"
erschienen uns als abwegige Wörter; in der rein männlichen Umgebung
war ein ganz anderes Vokabular geläufig. „Der Flamme Schein"
und „das Verschwinden der Sternlein" ließen das Gedicht als
anachronistisch und deshalb unpassend erscheinen. Schließlich
brach Dr. Schätzle die Stunde ab. Aus der Rückschau betrachtet
haben wir, wenn nicht dem Lehrer, so doch Eduard Mörike und seinem
Gedicht unrecht getan. Das Gedicht wirkt trotz oder vielleicht
wegen der Schulstunde an diesem Morgen im Januar 1945 nach. Ich
lernte seine literarische Qualität erkennen und habe es nie mehr aus
dem Gedächtnis verloren.
Wie im Gedicht das Feueranzünden die
traurigen Assoziationen des verlassenen Mädchens hervorruft, so
verursachte die Notwendigkeit, in der Schulbaracke den Ofen zu
heizen, einen zweiten Zusammenstoß zwischen Dr. Schätzle und
Schülern, diesmal unmittelbar zwischen ihm und mir. Jeden Morgen
waren im Wechsel zwei der Schüler verpflichtet, eine
Viertelstunde vor Beginn des Unterrichts den Ofen in der Baracke
anzuheizen (...)
Kurt
Abels, Germanist: https://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Abels
Nachruf
für Professor Dr. Kurt Abels der Pädagogischen Hochschule Freiburg:
Ad gloriam Eduard M ö r i k e:
Eduard Mörike - 1823, 19jährig -
Ad gloriam Eduard M ö r i k e:
Eduard Mörike - 1823, 19jährig -
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