Sonntag, 1. November 2015



M ö r i k e - Materialien II


-  für wenn das Häuschen, die Wohnung, die Stube  - die Bude, das Türmchen zu klein, zu knapp, zu beschränkend sind; oder der Lebenssinn einfältig zu werden droht  -


Anton Stephan Reyntjes



I. Des nachher, morgens, anderweitig




Was doch ein Lippenrausch gewesen

und hat erst des Morgens sich gelegt!

Bis Lilienworte starben und

rote Zungenpilger sich im Traum bewegt.



Da, im ersten Lichte, huschen Klettenblicke,

die halb verschüchert um sich sehn;

ein Rosenherz den Feueratem findet,

die alten Körperworte jung erglühn.



Enthetzt der Kerl, er will nicht mehr!

Das Mädchen will sich ihm wieder nahn:

So sehn sich herzlich und verlegen

Die ungewohnten Schläfer an.



Er scheint zu fragen, ob das Püppchen

die Biomasse schon zurecht gemacht,

die heut Nacht in ihrem Stübchen

die Knutscherei verschoben bracht.



Sie nennt ihn Flackerherz,

nein, Tatterkopp,

du Teufelsbrot,

ach, du Schlackerkerz!

Ach - nee?? 

II. Achja, du meine –

Du, jau, meine liebe Not!

Du! 

Wie du um die Ecke schaust –

Du kriegst es ja,

Wa? Wie? Was?

Mein Korinthenbrot -




**

Eduard Mörike: 

Begegnung


Was doch heut' Nacht ein Sturm gewesen,

Bis erst der Morgen sich geregt!

Wie hat der ungebetne Besen

Kamin und Gassen ausgefegt!



Da kommt ein Mädchen schon die Straßen,

Das halb verschüchert um sich sieht;

Wie Rosen, die der Wind zerblasen,

So unstet ihr Gesichtchen glüht.



Ein schöner Bursch tritt ihr entgegen,

Er will ihr voll Entzücken nahn:

Wie sehn sich freudig und verlegen

Die ungewohnten Schelme an.



Er scheint zu fragen, ob das Liebchen

Die Zöpfe schon zurecht gemacht,

Die heute Nacht im offnen Stübchen

Ein Sturm in Unordnung gebracht.



Der Bursche träumt noch von den Küssen,

Die ihm das süße Kind getauscht,

Er steht, von Anmut hingerissen,

Derweil sie um die Ecke rauscht.

*
1828 schreibt Mörike dieses Erzählgedicht, das zunächst als reine, wenn auch mit lebhafter Anteilnahme gestaltete Vorgangsbeschreibung anmutet; es existiert dazu eine Vorlage aus "Des Knaben Wunderhorn" (1805/1808)


Mörikes Vorlage:

Das Wiedersehen am Brunnen

(„Mündlich überliefert“ geben die Herausgeber in „Des Knaben Wunderhorn“ an.)



Es war einmal ein junger Knab,

Der hat gefreit schon sieben Jahr

Um ein fein Mädlein, das ist wahr,

Er konnt sie nicht erfreien.



"Ei, komm den Abend, junger Knab,

Wenn finstre Nacht und Regen ist,

Wenn niemand auf der Gasse ist,

Herein will dich lassen."



Der Tag verging, der Abend kam,

Der junge Knab geschlichen kam,

Er klopfet leise an die Tür:

"Steh auf, ich bin dafür.



Ich hab schon lang gestanden hier,

Ich stand allhier wohl sieben Jahr."

"Hast lang gestanden. Das ist nicht wahr,

Ich hab noch nicht geschlafen.



Ich hab gelegn und hab gedacht,

Wo nur mein Schatz noch bleiben mag,

Er macht mir allzulang, zu lang,

Mir wird ganz angst und bange."



"Wo ich solang geblieben bin,

Das darf dir wohl gesaget sein,

Bei Bier und Wein , wo Jungfern sein,

Da bin ich allzeit gerne."



Es war wohl um die Mitternacht,

Der Wächter fing zu läuten an:

"Steh auf, wer bei Feinsliebchen liegt,

Der Tag kommt angeschlichen."



Das Bürschlein auf die Leiter sprang

Und schaut die Stern am Himmel dicht.

Ich scheide nicht, bis Tag anbricht,

Bis alle Sterne schwanden."



Es sah das Morgensternlein nur,

Als sich der Knab von ihr gewandt;

Das Mägdlein morgens früh aufstand,

Ging an den kühlen Brunnen.



Begegnet ihr derselbig Knab,

Der nachts bei ihr geschlafen hat,

Viel guten Morgen boten hat:

"Gut Morgen, mein Feinsliebchen.



Wie hast geschlafen heute nacht?"

"Ich hab gelegn in Liebchens Arm!

Ich hab geschlafen, daß Gott erbarm,

Mein Ehr hab ich verschlafen!"
  
Quelle:
Achim von Arnim und Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Band 1, Stuttgart u.a. 1979, S. 308-310. 
*

Zur Interpretation verweise ich auf Renate von Heydebrands Erarbeitung:  

Die Anwesenheit des Erzählers ist noch unauffälliger, zumal auch hier wieder in der Zeitform der Gegenwart erzählt wird. Mörike führt aber gleich in der ersten Strophe einen Beobachter ein, der alles Künftige wahrnimmt: jemand räsonniert erstaunt (wie die Ausrufezeichen und -sätze anzeigen) über das nächtliche Unwetter und seine Wirkungen. Erst später läßt sich darin auch der Kunstgriff des Dichters erkennen, der hier zugleich die Grundmetapher für das nächtliche Ge­schehen, das sich in der »Begegnung« nur spiegelt, einsetzt, den »Sturm«. Vom Ende her erscheint damit der Erzähler schon in der ersten Strophe als durch­triebener Schalk, der eine pikante Geschichte anspielungsreich und doch schein­bar naiv zu präsentieren weiß. Den Auftritt des Mädchens zeichnet er in der Rolle des Beobachters zunächst ganz sachlich auf; dann versucht er, den Ausdruck der schüchternen Verwirrung in ihrem Gesicht durch einen Vergleich näher zu bestimmen, wobei als Ursache schon der »Wind« ins Spiel kommt. Auch das Erscheinen des Burschen und seine anscheinend plötzlich gehemmte Bewegung (»Er will ihr voll Entzücken nahn«, kann oder darf es aber wohl nicht) wird genau registriert. Darauf folgt ein erster Versuch der Deutung, den der Erzähler schon durch den Modus der Aussage als subjektive Meinung kennzeichnet: »Wie sehn sich freudig und verlegen« - vielleicht er mehr freudig, sie mehr verlegen? - »die ungewohnten Schelme an«. die Befangenheit, die wohl auf seiten des Mädchens etwas größer ist, Überträgt sich auch auf den Burschen, verhindert die vertrauliche Annäherung und läßt den Beobachter die ersten Schlüsse ziehen. Die spinnt er denn in der nächsten Strophe weiter aus, ganz Erzählende Darstellung diskret; er formuliert seine Vermutung als vermutliche Frage des jungen Man­nes und verbirgt den Vorgang der nächtlichen Liebesbegegnung unter der Sturm-Metapher. Er fühlt sich ganz in den jungen Mann ein und kann da­durch in der letzten Strophe dessen innere Empfindungen nachzeichnen: weniger gehemmt als das Mädchen, erinnert der sich jetzt unverhüllt an die Liebesnacht und zeigt sich von neuem fasziniert, wenn seine Schöne, ihre Ver­legenheit in großer Geste überspielend, »um die Ecke rauscht«. In den beiden letzten Zeilen scheint der Erzähler aber bereits wieder Distanz zu nehmen und sich fast über die Verliebten lustig zu machen, indem er mit seinen Wendungen ein wenig zu hoch greift, ein anderes Milieu unterstellt als das, dem die beiden   dem volkstümlichen Ton des Ganzen entsprechend - angehören.

In diesem Gedicht also verrät sich der Erzähler, obgleich nicht mit dargestellt, als anwesender Zeuge des Geschehens durch entschiedene Anteilnahme, durch interpretierende und kommentierende Wendungen, ja, am Anfang und gegen Ende durch sein augenzwinkerndes Bescheidwissen. Das schafft eine „realistische“ Atmosphäre - fast möchte man schon an Spitzweg-Szenen denken -, die den Merkmalen, die auf eine volksliednahe, literarische Situation hinweisen, entgegenwirkt. Für den Volkston sprächen die Typisierung von »Mädchen« und »Bursch«, die Diminutiva von »Liebchen« und »Stübchen«, ja die charakteristi­sche Wendung vom »offnen Stübchen« als Metapher für Liebesbereitschaft, die Kargheit der Umweltbeschreibung (Kamin, Gassen, Straßen). Literarisch in anderer Weise wirken das Gleichnis von den »Rosen, die der Wind zerblasen«, das »süße Kind« und die hinreißende »Anmuth«, und manches andere in Wortschatz und -fügung. Keine dieser drei Stilschichten kann sich ganz durchsetzen, und daher ist die Realitätssuggestion des Gedichts trotz der vorgeblichen Zeugen­schaft des Erzähler-Beobachters nicht allzu stark. Der Leser empfindet das Ge­dicht darum eher als ein Modell, an dem der Dichter Mörike zwei seiner Lieb­lingsmotive darstellen kann: andeutend das Motiv »Lieb ist wie Wind« und ausführlich das Motiv »gemischte Gefühlslagen«. Wie das Gedicht Tag und Nacht lassen sich diese Verse daher auf dem Wege des Motivvergleichs innerhalb des Gesamtwerkes auf den Autor und sein Gefühlsleben beziehen, ohne daß von einem »Erlebnisgedicht« gesprochen werden sollte.


(R. v. H.: Eduard Mörikes Gedichtwerk. Stuttgart 1972: Metzler. S. 93f.; (ohne Anmerkungen wiedergegeben)

"Begegnung" (neben dem "Peregrina"-Zyklus, "Romanze vom wahnsinnigen Feuerreiter", "Er ist's", "Erstes Liebeslied eines Mädchens") gehört zu Eduard Mörike großen, im Umfang von etwa zehn Gedichten, die er in seinem erfolgreichsten, poetischen Jahrzehnt von 1804 - 1824 geschrieben hat: von Erfahrung gesättigt, von ästhetischem Selbstbewusstsein reich geprägt, von formaler  Prägnanz und intentional ungebrochenem Glanz - 
 
In geheimnisvoll-offenbarer Weise kennzeichnte Eduard Mörike sein grundlegendes ästhetisches Dilemma im prägnanten Zusammenhang so:
Keine Rettung
Kunst! o in deine Arme wie gern entflöh' ich dem Eros!
Doch du Himmlische hegst selbst den Verräther im Schooß!“
(Vor 30.08.1845; Erstdruck 17.2.1846; nicht die Gedichtsammlungen aufgenommen. HKA. Bd. 15, S. 412; vgl.Heydebrand 1972. S. 177))





Samstag, 31. Oktober 2015



                                               - Mörikes Turmhahn (vergrünt) -

 

 - 'Feuerreiter' und mehr -






M ö r i k e - Materialien I

 - Erzählung aus düsteren, deutschen Tagen, in denen edel gesonnene Pädagogik sich aufmachte, Lichtlein zu setzen - 




 Anton Stephan Reyntjes




Von deutschem Geist, dem schwäbischen

    
                     - in memoriam Kurt Abels -




Ja, er hatte sich Respekt verschafft. In der allerersten Stunde. Natürlich. Da entscheidet sich das Schicksal eines Lehrers. Amen! Damut – pardon: Damit du es weißt! Dann aber war er der gute Freund. Mal eben so: väterlich und so! Zuerst hatte er fast in jeder Stunde von seinen Motorradfahrten durch Süddeutschland erzählt. Vom Schloß Mersburg aus - "Jungs, wisst ihr, die Annette von Droste!" Er wartete ab: "Ja, die Hülshoff!" Wieder Pause! "Ja, weiß es jemand? - Nein? Die ist dort beerdigt. - na, fahren wir weiter. Ich war schon im ersten Chor der Fahrlehrer!"

Janno flüsternd: "Klar, NSKK. Je höher der Stand der motorisierung, desto stärker die Abwehrkraft der Nation!" - Ich, zurück: "Woher weiß'n denn das?"

"Ruhe da!. Aber fix! Burschen. - na, also! - Und dann mit sparsamem Gas quer durch den schönen Allgäu."

"Da hätte der Führer auch eine Autobahn hinbauen müssen. Gradaus bis- bis Stalingrad oder so!" "Meinste? Eine! Und was für eine! Nur für Motorräder!" Er vermied immer, Krad zu sagen, der olle Janno!

"Was? Noch keine Ruhe? - Ah, Jan, du, gut dass du dich meldest. - Ah, willst austreten. Weiss schon, deine Blase, deine lockere Blase."

Alles musste lachen. Undsoweiter. Wenn Jan sich draußen auspinkelte, oder auslachte, war neben mir Ruhe.

So hatten wir unsere Abwechslung vom öden Dienst als Luftwaffenhelfer. Dienst war Dienst. Und Schule - Schule war Privatidee des Herrn



*



"Als treuer Schwabe kenne ich meine Heimat, da bin ich viel unterwegs gewesen, in den allen deutschen Gauen. Von Konstanz zum Olympiastadion nach Garmisch!"

"Blödmann. Gab es gar nicht, die Winterspiele, damals da!"

"Von Neuschwannstein" (Er sagte immer: Schwann.)"Von Berg am See bis hoch hinaus. Zum Blauen Topf zum Beispiel. Oder bis tief unten nach Passau hinab, du Donau, unsere Lebensstraße. Und in die weite Ostmark hinein, wo sich die Donau verabschiedet an unseren Grenzen. Und auch der Ungar ist schon befreit. Und liefert das Gulasch fürs winterhiflswerk. So erzähle ich auch gern später noch mehr."

Aber jetzt, im Dreck und in der Kälte?



Da steht er morgens vor uns und reibt sich am Bullerofen die Hände. Nix mit DKW 25o ccm mit Spezialsitzen! Und zwei Motorradkappen, die später in Stalingrad fehlten. Nix Reparatur der Kupplung am Straßenrand! Nix vom Rennen auf dem Hockenheimring. Nix von der Rallye, äh, der Friedensfahrt durch Deutschland.

"Hat ja gut geklappt heute morgen, mit unserem Kanonenofen (Er kichert dabei). Ja, ich hab's gerne warm, für mich und für euch, Jungs. Und wenn's so dunkel und unfreundlich ist wie heute, da nehme ich gerne euch auf einer Gedankenreise mit in das schöne deutsche Sprachgut."

Und Dr. Schätzle war gut drauf. Er trug vor: Räuspert sich erst: Von Eduard Mörike: Das verlassene Fräulein oder so ähnlich.

"Nun, Jungs, was meinen Sie darüber?

Er wartet. Soller warten, bis es ihm ungemütlich wird. Hab nix verstanden!

Her Doktor, können Sie den Schma - äh, das Gedicht noch einmal vortragen?“

Ja, er kann es auswendig!

Zuhören! Jungs! Abschalten, Kameraden!

Trauen Sie sich ruhig! Immer frisch vom Fleck! Es ist mal etwas anderes als das Übliche im Deutschunterricht, mit Grammatik und Schönschreiben. Wie?“

Nein, noch keiner!

Ich trage es nochmals vor. Beachten Sie die sprachliche Schönheit! Versuchen Sie, sie nachzuempfinden! Haben Sie Mut, die Schönheit dieses Kunstwerks zu erkennen!

Und wieder achtzehn Strophen oder so!

Ja, Sie, Kurti!“

"Mägdlein? Ist das normal. Es soll doch eine junge Frau sein? Oder? Keine Magd!"

Sie müssen sich doch versetzen in die Lage eines Hausmädchens, das verführt wurde.

Kichern, irgendwo zwischen Hein und Wilhelm!

- Wer hat da? - Ich erwarte Konzentration und Fleiß für die Schweiß-, äh, die Perlen der deutschen Lyrik! -

Ja, Sie?

Und der "Flamme Schein"? Was meinen Sie denn? Hier stinkt es vom Bullerofen, und ich hab mir vorhin die Uniform versaut, als ich den mit dem nassen Zeugs anstecken mußte.

Wohin paßt das Gedicht denn wohl?

Ich hab aufpassen müssen, um Sie überhaupt zu verstehen, Herr Dr.!

Ja, Sie schwäbeln so fein, Herr Dr. Schätzle!

Und die Schönheit und die Klangfülle. Und der Reim? Was sagt euch das, ihr jungen Herrn! - Euch fehlt noch die Bildung, die ihr nicht hinter dem 22er Geschütz lernt. Das müsste einer mal unserm Führer sagen!



Gar nix?

Wie jung mochte er sein?

Wie alt mochte er noch werden?


Soll ich denen vorsprechen?"Seht ihr am Fensterlein dort die rote Müss- äh: Mütze -?


Ich wiederhole die letzte Strophe: 

"Träne auf Träne dann
Stürzet hernieder; 
So kommt der Tag heran -
O ging er wieder!"

Oh, wenn ihr wollt: entstanden 1829. Very alt! - 
Da hat sich jemand ausgeschleimt, kotzig: "Armes Weibchen!" -
Wollte er es besser als im Volkslied machen?



Ich glaub, der Ludwig, einer von den dreien, die beim Luftangriff im Hydrierwerk draufgegangen sind, der wär von der gedichtmäßigen Schönheit begeistert gewesen.

(An ihn denken. Lächeln, traurig, mit Nachzündung. Glimmend.)

Der hat mir mal ein Gedicht an seine Marie vorgelesen. Aber nix mit entzündeten Äugelein und so!

Das stand da ja auch nicht bei Mörike.

Aber die Sternlein verschwinden. Heute noch - morgens ... Versteh ich.



Aber, wir tun alles für Sie! Wir geben uns Mühe um Ihre Bildung! Auch unter schweren Umständen, die uns die Angloamerikaner -

Und die leichte Flak, 22, Da stehen Sie ungeschützt gegen gegnerische Bomben, im Höllenfeuer. - Aufgepasst!

Eduard Mörike - das - das ist mein Herzblut! Jungs! Vergeßt mich nimmer!

Haben Sie da schon mal gestanden? Und über die leichte Flak lachen Tommys!“ „Die können uns auch nicht schützen!“ „Die Ballerei ist nur, damit wir was zu tun haben!“ „Das hast du aber mal gut gesagt, Sebastianchen!“

Die holen unsere Mühlen doch runter wie nix! Spitfire und Mustangs gegen die lahme, alte Ju 87! Die Me 109. Weg war sie, weggeputzt vom Himmel über der Ruhr. Und die Moskitos erst! Das ist wenigstens ein Flugzeug, die macht 650 Sachen!

"Und unsere 2 cm Flak, das ist doch was fürn Arsch! Da gehen wir doch baden!"

"Undankbar und- und - ehrlos, jawoll! Ehrlos und undankbar seid Ihr alle! Ich müßte euch melden!"


Geht vor dem Pult. Hin und her! Ach - im wehrmachtssmantel. Der Klassenraum war nicht geheizt.


Ich breche den Unterricht ab. Alle mitschrieben! Jawoll! - Ihnen fehlt ein Bleistift? - Schluß mit Lyrik! Ich diktiere drei Sätze! Die sind zu bestimmen nach Wortarten und Satzgliedern. Lassen Sie unter jeder Zeile zwei Reihen frei. Ich beginne. Wer raschelt da so lange?

Also, Obacht:

Aus dem Wehrmachtsbericht vom 5.1.45: In schweren Luftabwehrkämpfen bemühen sich unsere Flaksoldaten, um die Heimat vor den anglo-amerikanischen Terrorbombern zu schützen....



*



Handelnde: Dr. Eduard Schätzle, Deutschlehrer, und zwölf Luftwaffenhelfer (Benannte Figuren in Kurt Abels Erinnerungsbuch „Ein Held war ich nicht“.)




Ort: Schulbaracke der Luftwaffenhelfer am Flugplatz in der Kirchhellener Heide bei Gladbeck 
 

Zeit: 8. Januar 1945



(Als Vorlage meines Textes diente der Bericht von Kurt Abels über eine Unterrichtsstunde eines Deutschlehrers vor Flakhelfern im Januar 1945. Vgl. Kurt Abels: Ein Held war ich nicht. Köln u.a. 1998: Böhlau Verlag. S. 95; hier die Originalpassage:
 
Eines Morgens eröffnete er [Dr.Schätzle, ein Mittelstufenlehrer] (...) den Unterricht [für die Flakhelfer], indem er das Gedicht „Das verlassene Mägdlein" von Eduard Mörike vorlas; vielleicht bewog ihn der dunkle, unfreundliche Morgen dazu. Dann forderte er uns au£ die Qualitäten des Gedichtes nachzuempfinden oder zu erkennen. Dazu war anscheinend kaum einer, ich jedenfalls nicht, in der Lage. Vielmehr bemüh­ten wir uns mit unseren schülerhaften, unbeholfenen Worten auszudrücken, daß uns ein Mädchen, das Feuer anmacht und dabei darüber klagt, daß es von seinem Freund verlassen wor­den sei, völlig egal sei, es gehe uns nichts an. Der Lehrer hatte wohl geglaubt, daß der trübe, nebligkalte Morgen, der triste Schulweg, der Aufenthalt in der von einem Ofen geheizten, aber sonst wenig anheimelnden Schulbaracke mit ihren häßlichen Holztischen und den Standard-Flakschemeln einen günstigen Einstieg in die .Behandlung' oder .Durchnahme' des Gedichtes bieten würden. Die Auseinandersetzung wurde heftiger. „Mägdlein" und „Knabe" erschienen uns als abwegige Wörter; in der rein männlichen Umgebung war ein ganz anderes Voka­bular geläufig. „Der Flamme Schein" und „das Verschwinden der Sternlein" ließen das Gedicht als anachronistisch und des­halb unpassend erscheinen. Schließlich brach Dr. Schätzle die Stunde ab. Aus der Rückschau betrachtet haben wir, wenn nicht dem Lehrer, so doch Eduard Mörike und seinem Gedicht un­recht getan. Das Gedicht wirkt trotz oder vielleicht wegen der Schulstunde an diesem Morgen im Januar 1945 nach. Ich lernte seine literarische Qualität erkennen und habe es nie mehr aus dem Gedächtnis verloren. 
Wie im Gedicht das Feueranzünden die traurigen Assozia­tionen des verlassenen Mädchens hervorruft, so verursachte die Notwendigkeit, in der Schulbaracke den Ofen zu heizen, einen zweiten Zusammenstoß zwischen Dr. Schätzle und Schülern, diesmal unmittelbar zwischen ihm und mir. Jeden Morgen wa­ren im Wechsel zwei der Schüler verpflichtet, eine Viertelstunde vor Beginn des Unterrichts den Ofen in der Baracke anzuheizen (...)



Nachruf für Professor Dr. Kurt Abels der Pädagogischen Hochschule Freiburg:

Ad gloriam Eduard M ö r i k e:

Eduard Mörike - 1823,  19jährig -